Donnerstag, 26. Oktober 2017

Schwanger und das AGG

Die wiederholte Kündigung einer schwangeren Frau ohne Zustimmung der Arbeitsschutzbehörde kann einen Anspruch auf Geldentschädigung wegen Diskriminierung auslösen.
Mit dieser Begründung hat jetzt etwa das Arbeitsgericht Berlin den beklagten Arbeitgeber zur Zahlung einer Entschädigung in Höhe von 1.500,00 € verurteilt.
Der beklagte Rechtsanwalt hatte die bei ihm beschäftigte Mitarbeiterin bereits während der Probezeit gekündigt. Diese Kündigung hatte das Arbeitsgericht in einem vorangegangenen Kündigungsschutzverfahren nach § 9 MuSchG für unwirksam erklärt, weil die Mitarbeiterin ihrem Arbeitgeber gleich nach der Kündigung unter Vorlage des Mutterpasses mitgeteilt hatte, dass sie schwanger sei und der Arbeitgeber keine Zustimmung der Arbeitsschutzbehörde zur Kündigung eingeholt hatte.
Einige Monate später kündigte der Rechtsanwalt erneut ohne Zustimmung der Arbeitsschutzbehörde. Seine Einlassung, er sei davon ausgegangen, dass die Schwangerschaft schon beendet sei, ließ das Arbeitsgericht nicht gelten. Es erklärte auch die erneute Kündigung für unwirksam und verurteilte den Arbeitgeber zur Zahlung einer Geldentschädigung nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG):
Der Arbeitgeber habe aufgrund des ersten Kündigungsschutzverfahrens und der Kenntnis des Mutterpasses mit dem Fortbestand der Schwangerschaft rechnen müssen.
Arbeitsgericht Berlin, Urteil vom 8. Mai 2015 – 28 Ca 18485/14
 

Kündigung eines Hausmeisters

Eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses ist unwirksam, wenn sie von dem Arbeitgeber als Reaktion auf eine Geltendmachung des gesetzlichen Mindestlohnes ausgesprochen wurde.
In einem hier vom Arbeitsgericht Berlin entschiedenen Fall wurde der Arbeitnehmer als Hausmeister mit einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 14 Stunden bei einer Vergütung von monatlich 315,00 € beschäftigt, was einen Stundenlohn von 5,19 € ergab. Er forderte von dem Arbeitgeber den gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 €, worauf der Arbeitgeber eine Herabsetzung der Arbeitszeit auf monatlich 32 Stunden bei einer Monatsvergütung von 325,00 € (Stundenlohn 10,15 €) anbot. Nachdem der Arbeitnehmer die Änderung der Vertragsbedingungen abgelehnt hatte, kündigte der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis.
Das Arbeitsgericht Berlin hat die Kündigung als eine nach § 612 a BGBverbotene Maßregelung angesehen:
Der Arbeitgeber habe das Arbeitsverhältnis gekündigt, weil der Kläger in zulässiger Weise den gesetzlichen Mindestlohn gefordert habe; eine derartige Kündigung sei unwirksam.
Arbeitsgericht Berlin, Urteil vom 17. April 2015 – 28 Ca 2405/15

§ 16 AGG

Ein Verstoß gegen das Maßregelungsverbot des § 16 AGG hat keinen Anspruch auf Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG zur Folge.
Auch nach anderen Anspruchsgrundlagen, hier: § 280 Abs. 1§ 241 Abs. 2 BGB sowie nach § 823 Abs. 2 BGB iVm. § 16 AGG, begründet ein Verstoß gegen das Maßregelungsverbot des § 16 AGG keinen Anspruch auf Ersatz des immateriellen Schadens.
Sowohl der Anspruch auf Schadensersatz nach § 15 Abs. 1 AGG als auch der Anspruch auf Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG setzen einen Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot des AGG voraus. Dieses ist in § 7 Abs. 1 AGG geregelt. Danach dürfen Beschäftigte nicht wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes benachteiligt werden; dies gilt auch, wenn die Person, die die Benachteiligungbegeht, das Vorliegen eines in § 1 AGG genannten Grundes bei der Benachteiligung nur annimmt. § 16 AGG enthält hingegen kein “Benachteiligungsverbot”, sondern ein “Maßregelungsverbot”, das von § 15 Abs. 1 und Abs. 2 AGG nicht in Bezug genommen wird. Dies wird auch durch die in § 16 Abs. 3 AGG getroffene Regelung bestätigt, die für das Maßregelungsverbot ausdrücklich die entsprechende Anwendung von § 22 AGG anordnet. Einer solchen Regelung hätte es nicht bedurft, wenn § 22 AGGohne Weiteres auch auf Ansprüche Anwendung fände, die keine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes und damit keinen Verstoß gegen das in § 7 Abs. 1 AGG geregelte Benachteiligungsverbot voraussetzen1.
Selbst wenn die Arbeitgeberin (hier: mit der Erteilung des Zwischenzeugnisses) gegen das Maßregelungsverbot des § 16 AGG verstoßen haben sollte, stünde der Arbeitnehmrin auch nach anderen Anspruchsgrundlagen, hier: § 280 Abs. 1§ 241 Abs. 2 BGB und nach § 823 Abs. 2 BGB iVm. § 16 AGG keine Entschädigung zu.
Zwar darf ein Verstoß gegen § 16 AGG schon im Hinblick darauf, dass mit dieser Bestimmung das Verbot der Viktimisierung der unionsrechtlichen Vorgaben umgesetzt wird (hier: Art. 11 der Richtlinie 2000/78/EG), nicht folgenlos bleiben. Dem entspricht das innerstaatliche Recht in Deutschland. Unbenommen bleiben nämlich nicht nur etwaige Ansprüche auf Beseitigung der Beeinträchtigung und ggf. auf Unterlassung; unbenommen bleiben darüber hinaus insbesondere – ebenso wie bei einem Verstoß gegen das Maßregelungsverbot des § 612a BGB2 – Schadensersatzansprüche aus § 280 Abs. 1, § 241 Abs. 2 und aus § 823 Abs. 2 BGB iVm. § 16 AGG. Es kann vorliegend dahinstehen, ob der Arbeitgeber bei einem Verstoß gegen das Maßregelungsverbot des § 16 AGG aus § 280 Abs. 1, § 241 Abs. 2 oder aus § 823 Abs. 2 BGB iVm. § 16 AGG überhaupt zum Ersatz eines immateriellen Schadens verpflichtet ist; jedenfalls hat die Arbeitnehmrin schon nicht vorgetragen, dass insoweit die Voraussetzungen für die Zahlung einer Entschädigung vorliegen.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 18. Mai 2017 – 8 AZR 74/16

Mitarbeit bei der Stasi

Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg hat die ordentliche Kündigung eines ehemaligen inoffiziellen Mitarbeiters des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR (MfS), der zuletzt als stellvertretender Direktor des Landesinstituts für Rechtsmedizin des Landes Brandenburg beschäftigt war, für unwirksam gehalten und das Land Brandenburg verpflichtet, den Arbeitnehmer weiter zu beschäftigen.
Der Arbeitnehmer war in den Jahren 1988 und 1989 in seiner Funktion als Militärarzt für das MfS als inoffizieller Mitarbeiter tätig. Seit dem Jahr 1990 war er bei dem Land Brandenburg beschäftigt und verneinte 1991 wahrheitswidrig die Frage nach einer Mitarbeit für das MfS. Nachdem er sich 2016 für die Stelle des Direktors des genannten Landesinstituts beworben hatte, erfuhr das Land von dem Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes von der MfS-Tätigkeit, die von dem Arbeitnehmer erneut geleugnet wurde. Das Land kündigte daraufhin das Arbeitsverhältnisfristlos, hilfsweise fristgemäß.
Das Landesarbeitsgericht hatte in dem Berufungsverfahren nur noch über die fristgemäße Kündigung zu entscheiden, nachdem die Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung vom Arbeitsgericht rechtskräftig festgestellt worden war. Die fristgemäße Kündigung sei ebenfalls rechtsunwirksam. Das Maß der Verstrickung des Arbeitnehmers in die Tätigkeit des MfS sei als eher gering einzuschätzen. Angesichts der langen, unbeanstandet gebliebenen Tätigkeit im Landesdienst könne dem Land eine Weiterbeschäftigungzugemutet werden, auch wenn die mehrfache Leugnung der – sehr lange zurückliegenden – MfS-Tätigkeit eine Belastung des Arbeitsverhältnisses dargestellt habe.
Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 17. Oktober 2017 – 5 Sa 462/17

Mittwoch, 18. Oktober 2017

BAG zum Schadensersatz-Anspruch bei Diskriminierung

Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) schützt Arbeitnehmer vor Diskriminierung im Erwerbsleben. Der Betroffene muss Indizien für eine Benachteiligung aufzeigen. Diese müssen aber ein gewisses Gewicht haben – so das BAG.

Rechtslage

Das AGG verbietet jegliche Benachteiligung wegen der Rasse oder der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion und Weltanschauung, der Behinderung, des Alters und der sexuellen Identität, § 1 AGG. Bei einem Verstoß stehen dem Betroffenen sowohl  Schadenersatzansprüche nach § 1 Abs. 1 AGG (Vermögensschaden), als auch Entschädigungsansprüche, § 15 Abs. 2 AGG (immaterielle Schäden) zu.

Der Fall

Der schwerbehinderte, teilzeitbeschäftigte Kläger bat mehrfach um Erhöhung seiner wöchentlichen Arbeitszeit. Dem kam seine Arbeitgeberin nicht nach. Stattdessen stockte sie die Arbeitszeit von zwölf anderen Teilzeitbeschäftigten auf. Der Kläger sah hierin ein Indiz für eine Benachteiligung wegen seiner Behinderung, also einen Verstoß gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) und machte eine Erhöhung seiner Arbeitszeit und Schadenersatz gem. § 15 Abs. 1 AGG geltend.


Prüfpflicht auch für private Arbeitgeber

Nach der Pressemitteilung des BAG vom 13. Oktober 2011 müssen auch private Arbeitgeber bei der Besetzung von freien Stellen eine Besetzung mit Schwerbehinderten prüfen, um sich nicht gem. § 15 Abs. 2 AGG entschädigungspflichtig zu machen

(Prüfpflicht gem. § 81 Abs. 1 SGB IX) –  Az. 8 AZR 608/10.